Verhaltenspsychologie - Psychologie auf naturwissenschaftlicher Basis
Parallel zu Freuds tiefenpsychologischen Theorien entwickelten sich Anfang des 20. Jahrhunderts vornehmlich in den USA und in der Sowjetunion Bestrebungen, psychologische Phänomene nicht mehr nach subjektiven Kriterien wie Empfindung, Träumen, Assoziationen etc. zu betrachten. Die Psychologie einer Person, d. h. das Zusammenspiel von (innerem) Empfinden und (äußerem) Verhalten sollte objektivierbar werden, nach mathematisch-naturwissenschaftlichen Grundlagen vergleichbar und wiederholbar.
Frühe Theorien
Radikale (frühe) Vertreter dieser Richtung stellten die Theorien auf, daß ein Mensch leer (tabula rasa) zur Welt kommt und vom ersten Augenblick alles aus der Umwelt erlernt. Schon bald stellte sich allerdings heraus, daß diese Theorie kaum haltbar ist, zu individuell und unvorhersehbar waren die Ergebnisse von damals z. T. grausamen und schmerzhaften Experimenten an Personen.
Eine weitere frühe Theorie formulierte den Wunsch, die Psychologie einer Person solle nur an ihrem objektiv beobachtbaren Verhalten festgestellt werden, die subjektiv von dieser Person beschriebenen Gefühle, Empfindungen und Wünsche sollten keine Rolle spielen, da sie nicht vergleichbar und meßbar sind.
Modifikationen und Blütezeit der Verhaltenspsychologie
Nach diesen frühen, eher unpersönlichen Ansätzen wurden die verschiedenen verhaltens- oder lernpsychologischen Modelle modifiziert, die radikalen Annahmen zum großen Teil aufgegeben. In den 1970er Jahren setzte eine kognitive Wende ein, seitdem wird in aller Regel eine sogenannte kognitive Verhaltenstherapie in der Praxis angewandt, in der die persönlichen Motive und Wünsche des Klienten angemessen berücksichtigt werden. Dennoch steht - dem Namen entsprechend - immer das als problematisch angesehene Verhalten des Klienten im Mittelpunkt der Therapie, das praktisch immer verändert oder sogar beseitigt werden soll. Die Bedeutung bzw. die Sinnhaftigkeit dieses Verhaltens wird nicht oder nur am Rande berührt. Aus diesem Grund kann die Verhaltenstherapie auch als störungs-orientiert beschrieben werden, es geht um ein (störendes) Symptom, das beseitigt werden soll.
Verhaltenspsychotherapie in der Anwendung
In ihrer Berufung auf naturwissenschaftliche Grundlagen kommt diese Therapieform einem modernen, westlich-industriell geprägten Wunsch nach Effizienz, Vorhersagbarkeit und Überprüfbarkeit entgegen und wird seit einigen Jahrzehnten in immer größerem Maß sowohl im klinisch-stationären Bereich wie auch in der ambulanten Psychotherapie angewandt.
In dieser Therapieform wird typischerweise mit Skalen gearbeitet, Klassifizierungen von Störungen, präzisen Diagnosen, Anweisungen, Plänen, Kontrolle und "Hausaufgaben". Gearbeitet wird z. B. mit Methoden der Desensibilisierung, des Trainings (z. B. von Selbstsicherheit) bzw. des Lernens (Betonung der Kognitionen oder des Denkens).
Stimmt es, daß die Verhaltenstherapie besser wirkt als andere Verfahren?
Die allgemein beschriebene Wirksamkeit oder Zuverlässigkeit dieses Ansatzes hinsichtlich seelischer Störungen kann relativiert werden, wenn berücksichtigt wird, daß z. B. tiefenpsychologisch oder humanistisch arbeitende Therapeuten keine Statistiken oder vergleichenden Studien anstellen, da sie den Klienten prinzipiell als einzigartiges Individuum ansehen, das unvergleichbar ist. Die oft ins Feld geführte mangelnde Datenlage bei diesen person- oder beziehungsorientierten Verfahren liegt also nicht an einer unzureichenden Wirksamkeit, sondern an einem prinzipiell anderen Menschenbild.