Humanistische Psychologie - Das menschliche Maß in der Psychotherapie
Die einzelnen psychologischen Schulen bilden auch eine Art historisches Kontinuum, sie sind kaum ohne einander bzw. nur in ihrer zeitlichen und gesellschaftlichen Abfolge wirklich verständlich. Während Freud quasi die "Initialzündung" der modernen Wissenschaft Psychologie geliefert hat und dabei alle Philosophie und Spiritualität beiseite lassen wollte, haben sich schon seine Nachfolger der nächsten Generation darum bemüht, diese Aspekte als grundlegende Merkmale des Menschseins wieder in die Psychologie mit aufzunehmen.
Es entstand eine Art Übergangsgeneration von ausgebildeten Psychoanalytikern, die die tiefenpsychologischen Abstraktionen, Ge- und Verbote immer weiter infrage gestellt haben und dafür das menschliche Maß, die erlebbaren und mitteilbaren Erfahrungen einer Person, ins Zentrum therapeutischen Handelns gestellt haben. Erst 1963 versammelten sich die damals führenden Vertreter dieser noch namenlosen psychologischen Richtung - hauptsächlich Carl Rogers, Abraham Maslow und Charlotte Bühler - um ein "humanistisches Manifest" zu proklamieren, in dem die Grundlagen dieser Psychologie dargestellt wurden.
Unterschiede zur Tiefenpsychologie
Da die in diesem Bereich tätigen Psychologen zum größten Teil aus der tiefenpsychologischen Richtung kamen, finden sich einige der dort grundlegenden Konzepte auch im Humanismus, insofern haben sich diese beiden Richtungen - trotz aller Unterschiedlichkeit - bis heute viel zu sagen.
Die Theorie des Unbewußten, zentrales Moment in der Tiefenpsychologie, wird von den Humanisten nicht abgelehnt, aber nicht als grundlegend für die menschliche Psychologie erachtet. Statt von bewußten und verdrängten Erfahrungen zu sprechen, geht es im Humanismus darum, wie vollständig und unverzerrt bzw. wie unvollständig und verzerrt eine Erfahrung gemacht werden konnte. Die Übertragung - großes Thema in der analytischen Praxis - gilt dem Humanisten als normales Alltagsphänomen, das beobachtet, aber nicht analysiert werden muß.
Beibehalten wurde der Beziehungsaspekt: So geht es in einer humanistisch orientierten Psychotherapie (z. B. der person-zentrierten oder Gesprächspsychotherapie) immer um die aktuelle, augenblickliche Beziehung zwischen Therapeut und Klient, die kontinuierlich und aufmerksam vom Therapeuten reflektiert wird. Der Klient erfährt sich darin als aktiven und vollständig wahrgenommenen Partner, der die in diesem Moment gewonnenen Erkenntnisse dann auch außerhalb der Therapie sinnvoll einsetzen kann.
Welche Verfahren und Ansätze gibt es in diesem Bereich?
Zentraler und populärster Vertreter der humanistischen Psychotherapie ist die person-zentrierte Psychotherapie (Gesprächspsychotherapie) nach C. Rogers. Dazugezählt werden auch die Gestalttherapie nach Perls und die Logotherapie/Existenzanalyse nach Frankl sowie die Transaktionsanalyse nach Berne, wobei speziell die letzteren beiden auch starke Bezüge zur Psychoanalyse aufweisen. Einen Ausschnitt aus der person-zentrierten Psychotherapie bildet das Focusing nach Gendlin, das stärker körperorientiert arbeitet. Einen Übergang von Psychotherapie zu Selbsterfahrung bietet das Psychodrama nach Moreno, bei dem konflikthafte seelische Erlebnisse in der Gruppe als Schauspiel dargestellt werden.